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Vom Aussen nach Innen – Wie Pratyahara uns durch die Vata-Zeit führt

Frau im Meditationssitz, die Pratyahara praktiziert, das Zurückziehen der Sinne

„Wenn die Sinne sich vom Äusseren zurückziehen, wird der Geist still, und der Mensch erkennt seine wahre Natur.“
Yoga Sutra II.54

Ein Herbstmorgen und eine Erkenntnis

Kaum hatte ich mich an diesem frühen, noch dunklen und von Nebelschwaden bestimmten Herbstmorgen an den Schreibtisch gesetzt und meinen Rechner aufgestartet, schossen mir bereits die ersten Gedanken durch den Kopf: „Ich muss dringend noch LinkedIn Beiträge vorplanen, den Anbieter einer Retreat-Location anrufen und die offenen E-Mails beantworten. Dabei ist mein Tag eigentlich schon mit anderen Terminen voll.“

Seufzend nahm ich einem tiefen Atemzug, sah zum Fenster hinaus und dachte mit einem Kopfschütteln: „Die Natur macht es uns eigentlich vor. Nach Monaten des Wachsens, der Erblühens und einer dauernden Umtriebigkeit lässt sie jetzt los und bereitet sich auf die Winterruhe vor.“

Wir sind ein Abbild der Natur. Auch wir brauchen Zeiten des Loslassens, des Innehaltens.

Und eine tolle Praxis, um den Weg nach Innen zu finden ist Pratyāhāra, der Rückzug der Sinne.
🎥 Schau gerne auf meinem YouTube Kanal vorbei und lass dich in das Thema einführen

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Pratyāhāra – die Schwelle zwischen Aussen und Innen

Pratyāhāra steht im achtgliedrigen Pfad des Yoga (Aṣṭāṅga-Yoga) an fünfter Stelle nach den Yamas und den Niyamas, Āsana und Prāṇāyāma. Es ist die Tür vom aktiven Tun zur stillen Wahrnehmung. Das sagt auch David Frawley, der bekannte Yoga- und Ayurveda Gelehrte, in einem Fachartikel auf Yoga International:

„Als fünftes der acht Glieder nimmt Pratyāhāra eine zentrale Stellung ein. Manche zählen es zu den äußeren Aspekten des Yoga, andere zu den inneren. Beide Einordnungen sind korrekt, denn Pratyāhāra ist der Schlüssel für die Beziehung zwischen äußeren und inneren Aspekten des Yoga. Es zeigt uns, wie wir vom einen zum anderen übergehen“.

Eine ganz bewusste Lenkung der Wahrnehmung über unsere Sinne ist für uns wichtiger denn je. Die Welt um uns herum wird zunehmend lauter und hektischer. Nahezu überall werden wir mit bewegten Bildern, Lärm, verschiedensten Gerüchen und anderen Reizen überflutet, was eine grosse Belastung für unser Nervensystem darstellt. Es braucht deshalb regelmässig einen Rückzug, wie eine Schildkröte, die sich in ihren Panzer zurückzieht, um die Aufmerksamkeit von aussen nach innen zu richten. Auch diesen Bild verwendet David Frawley in seine Abhandlung.

In den Yoga Sutras 2.54-2.55 heißt es:

Sva-viṣayāsaṃprayoge cittasya svarūpānukāra ivendriyāṇāṃ pratyāhāraḥ.
„Indem man die Aufmerksamkeit nach innen richtet (Pratyāhāra), kommt das Bewusstsein nicht mehr mit den Objekten der Sinne in Kontakt. Es spiegelt dann die eigene essentielle Natur wider.“

Tataḥ paramā vaśyatendriyāṇām.
„Aus der Praxis des Pratyāhāra entsteht höchste Beherrschung der Sinne.“


Der Tisch unserer Sinne – überfüllt oder ausgewählt

Hier ein besonders eindrucksvolles Beispiel, wie man sich die Bedeutung von Pratyāhāra praktisch vorstellen kann:

Vor dir stehen zwei gedeckte Tische.

Auf dem ersten Tisch findest du unzählige verschiedene Speisen vor und so weisst du gar nicht, was du wählen sollst. Und weil du dich nicht entscheiden kannst, isst du von allen Speisen etwas und bist am Ende total übersättigt und fühlst dich schwer, ja fast schon erschöpft.
Ganz genau so ergeht es unseren Sinnen im Alltag: Zu viele Eindrücke, zu viele Reize, generell zu viel auf einmal.

Auf dem zweiten Tisch findest du wenige, sorgfältig ausgewählte Speisen, die nährend wirken auf Körper und Geist, also von sattvischer Natur sind, um mit dem Ayurveda zu sprechen. Auch so kann auch unsere Sinnesaufnahme aussehen: Bewusst, reduziert, ausgleichend.

Ein übervoller Tisch und ein Tisch mit wenig Speisen soll symbolisieren, wie Pratyahara auch aussehen kann

Warum ich dieses Beispiel gewählt habe? Ganz einfach:
Das Wort Pratyāhāra besteht aus prati („gegen“, „weg von“) und āhāra („Nahrung“, „das, was wir von aussen aufnehmen“). Āhāra umfasst physische Nahrung und „geistige Nahrung“ durch Sinneseindrücke.

Das wird ebenfalls von David Frawley bestätigt:

„Pratyāhāra ist zweifach. Es beinhaltet das Zurückziehen von falscher Nahrung, falschen Eindrücken und falschen Beziehungen und zugleich das Öffnen für richtige Nahrung, richtige Eindrücke und richtige Beziehungen. Wir können unsere mentalen Eindrücke nicht ohne richtige Ernährung und gesunde Beziehungen steuern, doch die Hauptbedeutung von Pratyāhāra liegt im Zurückziehen oder Führen der Sinneseindrücke. Das befreit den Geist, nach innen zu gehen.“

Wie man Pratyāhāra in eine Āsana-Praxis integrieren kann, zeige ich dir bald auf meinem 🎥 YouTube Kanal.


Pratyāhāra und Ayurveda – innere Ruhe in der Vata-Zeit

Wenn der Herbst kommt, tritt das Vata-Dosha stärker hervor: Bewegung, Wind, Kälte und Trockenheit. Das kann uns innerlich sehr unruhig werden lassen und auch körperlich fordern.

Die alten ayurvedischen Texte lehren uns:

Hemante śīta-vātādyān vātān seveta nityaśaḥ.
„Im Winter soll man Maßnahmen ergreifen, die Kälte und Wind entgegenwirken.
Rtucaryā tattva-jñānam sukha-duḥkha-hetuḥ smṛtam.
„Wer das Wissen um die saisonalen Rhythmen kennt, kennt die Ursachen von Wohlbefinden und Leid.“

So wie die Natur jetzt Ruhe braucht, braucht auch unser Geist Struktur und Regelmässigkeit, und unser Körper sehnt sich nach Wärme und weniger Anstrengung.
Aus ayurvedischer Sicht brauchen wir jetzt eine auf die Saison angepasste Ernährung, aber auch Lebensweise.

Besonders wohltuend sind hier stärkende und ausgleichende Routinen, wie z.B.

  • eine Selbstmassage mit warmem Sesamöl (Abhyanga)
  • moderate Bewegung (Pilates, Yoga, Spaziergänge – Wichtig: Am besten mit Schal und Mütze)
  • die Pflege unserer Schleimhäute und
  • einen stabilen Schlaf-/Wachrthythmus.

Schaubild mit gesunden Routinen zu Pratyahara in der Vata Zeit


Fazit: Vom Tun ins Sein und Reaktionen auf Reize bewusst steuern

Zum einen können wir festhalten, dass diese Jahreszeit besonders geeignet ist dafür, loszulassen und sich quasi auf die folgende Winterruhe einzustimmen.
Nach dem Motto: 💜 Pratyāhāra ist Erinnerung an die Ruhe, die bereits da ist. Wir müssen nur still genug werden, um sie zu hören.

Der andere wichtige Aspekt ist die bewusste Lenkung unserer Sinne. Denn dann werden wir nicht länger getrieben von Reiz zu Reiz. Wir dürfen wählen, was wir aufnehmen und auch, wie wir reagieren. Und genau das schenkt uns Freiheit.

Wie sagt die bekannte Yoga Lehrerin und Ausbilderin Judith Hanson Lasater in ihrem Artikel Pratyāhāra: What It Means to ‘Withdraw’, Yoga Journal. yogajournal.com so schön;

„Für mich bedeutet die Praxis von Pratyāhāra nicht, Reizen aus dem Weg zu gehen (was ohnehin kaum möglich ist). Vielmehr heißt Pratyāhāra für mich, mitten in einer anregenden Umgebung zu bleiben und bewusst nicht automatisch zu antworten, sondern stattdessen achtsam zu wählen, wie ich reagieren möchte.“

Eine Meditation, die dein Nervensystem ausgleicht und mit den Prinzipien von Pratyāhāra verbindet, findest du in Kürze auf auf meinem 🎥 YouTube Kanal.

Weitere Quellen und Inspiration


Du möchtest mehr erfahren über den Ayurveda? Dann empfehle ich dir hier weiterzulesen -> Panchamahabhutas – Die 5 Elemente – Worauf der Ayurveda basiert

Und wie immer freue ich mich über Kommentare und Fragen!

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Yvonne Lange

Ayurveda, Yoga und Achtsamkeit

Hallo, ich bin Yvonne, Ayurveda Expertin & Yogalehrerin. Auf meinem Blog findest Du lehrreiche Impulse zu Ayurveda, Achtsamkeit und Yoga sowie Links auf meine verschiedenen YouTube Videos, so dass Du jederzeit mit mir ganz unkompliziert Yoga, Meditation und Atemübungen praktizieren kannst.

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